Wohnen und leben

Jens Köster

 

Resi erzählt es ihrer Tochter. Alles, schonungslos, direkt, mit sehr viel Ironie, wütend. Wie die Clique, die in der Abi-Zeitung als die „Intis“ (die Intellektuellen) bezeichnet wird, auszieht, aus der schwäbischen Provinz, in die Hauptstadt. Ihnen gehört die Welt, Selbstverwirklichung pur, wer liebt wen und noch wichtiger, wer wohnt, mit wem, wo?

 

Alles anders machen als die Eltern. Wohnstil und der Stadtteil werden zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wohnen im Berlin der 90er als Glaubensbekenntnis. Und ein Glaube, dass alle aus der Clique gleich sind und alle die gleichen Chancen haben, wenn sie tüchtig arbeiten.

 

Der Prenzlauer Berg wird schwäbisch und dann kommen die Kinder und das gemeinsame Leben als Familien, immer schön innerhalb des Rings. Wer will schon in den Stadtteilen außerhalb wohnen? Nein, das wollen sie nicht, der Schulweg der Kinder ist hier, in der fast dörflich anmutenden Idylle bei Resi und ihren Freunden, sicher. Das Leben scheint schön zu sein.

 

Schlimm ist nicht die Provinz, schlimm ist das provinzielle, das allen Mitgliedern des Freundeskreises weiter anhängt. Anders sein als die Eltern, doch auch Resi will eine sauber aufgeräumte Wohnung und für ihre Kinder da sein, als perfekte Mutter. Die Kinder determinieren den Nachmittag, wenn die Clique sich trifft. Wenn gespielt weder soll, müssen die Eltern  spielen und dass gespielt wird, bestimmen die Kinder. 

 

Dann trifft die schonungslose Wohnrealität auch Resi und ihre Familie, die Clique wohnt weiter. Aber jetzt sind es geerbtes Geld und Eigentumswohnungen, in den nur noch mit Buchstaben und Ziffern bezeichneten, neuen Wohnensembles, so wie K23, heißen die. Resi, Aufsteigerkind und  Schriftstellerin, mit ihrem Mann, dem Künstler, können und wollen das nicht mit durchziehen, stellen sich gegen die Ignoranz der Gruppe und erleben umso mehr dann den brutalen Alltag im Berliner Wohnwahnsinn. Geld macht doch einen Unterschied und dann auch für die so lang schon bestehenden Freundschaften.  

 

Anke Stelling hat dieses sehr gute Buch mit einer wunderbaren Direktheit geschrieben. Die Aufklärung und der Dialog mit der Tochter und der innere Monolog der Hauptfigur tut weh, muss weh tun, um offen und klar, gepaart mit viel Ironie, eine Reflexion des Vorhandenen zu ermöglichen. Durch das Offenlegen der Verhältnisse zerbrechen lange Freundschaften, wenn Vergangenes, aus der Kindheit, nicht richtig aufgearbeitet ist und im Hier und Jetzt versucht wird, eine Projektion der inneren Wünsche und Probleme in Wohnungen und in Wohnräumen vorzunehmen.

 

Wahrscheinlich hat dies jeder schon einmal erlebt, wie der tägliche Miet- und Wohnwahnsinn unser Leben beeinflusst und gerade den als so lebenswert empfundenen Stadtteil nicht mehr bezahlbar macht. Neubauten mit den perfekten Gärten für Katzen und Hasen als Haustiere wirken erschreckend schön, zeigen aber auch die (Ab)-Spaltungen in der Gesellschaft. Und Urlaube mit den Kindern in den Schulferien sind nur zu Hause möglich, anders als bei denen, die sowieso schon scheinbar alles besitzen. Anke Stelling zieht uns rein in diese Situation des Künstlerehepaars mit der großen Familie, man will nicht mehr aufhören zu lesen. Ein wunderbares Buch, das die Verhältnisse unserer Zeit beeindruckend reflektiert und so sehr zum Nachdenken und zum Diskutieren anregt.

 

Wir freuen uns auf die Lesung mit Anke Stelling und Schäfchen im Trockenen, am 08.06.2019, beim Literaturfest 2019 in Meißen, bei uns im Buchladen.

 

Anke Stelling, 

Schäfchen im Trockenen

Verbrecher Verlag , 2. Aufl. (2019)

266 S. - € 22,00

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