Das Grollen der Zwietracht

Jens Köster

 

Ortuños Roman „Die Verschwundenen“ erzählt die Geschichte über die Machenschaften eines skrupellosen, mexikanischen Bauunternehmers, der eine Luxussiedlung in der Nähe von Guadalajara erbauen will und dabei diejenigen, die seinen Plänen im Weg stehen, verschwinden lässt.

 

Schmutziges Geld wird in diesen Bauprojekten in Mexiko gewaschen, Menschen ernennen sich zum König dieser Projekte und stürzen dann doch tief, wenn die durch Korruption und äußerster Brutalität geprägten Günstlinge oder Wettstreiter in Behörden, Polizei und als Investoren zurückschlagen und den derzeitigen König nicht mehr dulden wollen. Frauen bekommen, in dieser von Machos geprägten Welt, die klar definierte Rolle als Mutter, Liebhaberin und Sexobjekt zugeordnet. Verrat, Korruption, Untreue. Alkohol und andere Drogen helfen durch den Alltag, durch den Bauboom in einer Stadt, in der Hochhäuser „wie erigierte Penisse“ in den Himmel ragen.

 

Einleitend erklärt Ortuño, dass eine Liste des Finanzministerium der Vereinigten Staaten von Amerika mit weltweit agierenden Unternehmen existiert, die Geld in Diensten des organisierten Verbrechens waschen. Mehr als die Hälfte der dort verzeichneten mexikanischen Unternehmen befindet sich in Guadalajara. 

 

Aber es ist nicht die schon so häufig in vielen Büchern und Filmen klischeehafte Erzählung über ein korruptes Land, voller Sehnsüchte, Gewalt und Drogen, dessen Einwohner dann möglichst schnell in die USA flüchten wollen. Der 1976 in Guadalajara geborene Autor beschreibt in diesem sehr guten und empfehlenswerten Buch sehr nah und detailliert die Welt und die Gefühle eines Außenseiters, Aurelio Blanco, der in eine dieser mexikanischen Clan Familien reingezogen wird, für sie 15 Jahre ins Gefängnis geht und doch mit Selbstdiziplin und ruhiger Abgeklärtheit auch nach seiner Zeit im Gefängnis die Dinge wieder für sich und für sie regeln will. Trotz aller Erniedrigungen durch den Clan endet auch seine Zuneigung zur Tochter des Bauunternehmers nicht, die er heiraten musste und die ihn während und nach seiner Zeit im Gefängnis nicht mehr spüren will. Sie ist nicht ein Objekt irgendeiner Begierde. Sie nutzt geschickt jede Situationen für sich und wendet sich mit dem gemeinsamen Kind ab vom Patriarchat ihres Macho- und Mafia-Vaters. Und auch Blanco, genannt „Yeyo“, will nach der langen Zeit, die er für den Clan abgesessen hat, Gerechtigkeit und seinen Anteil an den Gewinnen des Bauprojekts. 

 

Wie kann ein ausgeglichenes Leben in einer Stadt funktionieren, wenn schon die nächsten Investoren warten, weil wieder irgendein Stück Land frei geworden ist und sie mit ihren unsauberen Methoden, Menschen an sich binden und an sich ausliefern? Durch Anpassung und Gehorsam kann es der Außenseiter Aurelio Blanco, er wird Leiter des riesigen Bauprojekts, der „traumhaften“ Wohnsiedlung am Rande der Stadt. 

 

Zur Realisierung des Bauprojekts „verschwinden“ zwölf Menschen, die dem Wahnsinn zur Errichtung von Luxusvillen auf ihrem Grund und Boden nicht weichen wollten. In Mexiko sind derzeit rund 40.000 Menschen vermisst. Sie sind spurlos verschwunden.

 

Nichts wirkt protokollhaft oder klingt nach gängigem Familiendrama in diesem Buch. Durch die detaillierten Beschreibungen sind wir mittendrin im täglichen Moloch, in dieser Stadt. In Situationen, in denen wir niemand vertrauen können und doch, oder gerade deshalb, wollen wir nicht mehr aufhören zu lesen.

 

 

Die Verschwundenen

Roman

Antonio Ortuño 

Originaltitel: Olinka

Übersetzung: Hans-Joachim Hartstein

 Verlag Antje Kunstmann (2019)

240 S. - € 20,00

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